Rudolf Blüthner

Nordatlantik, am Abend des 8. Mai 1936

Dr. Rudolph Blüthner-Haessler hatte an Deck A im Gesellschaftsraum an einem der kleinen, quadratischen Tische mit den runden Ecken Platz genommen. Es fiel ihm schwer stillzusitzen – aber der grosse Moment stand nun endlich unmittelbar bevor. Mensch, was haben wir geschafft. Die erste Fahrt der Hindenburg mit Ziel USA – und unser Flügel mit an Bord. Unsere Spezialkonstruktion aus beledertem Aluminium. Unser Leichtgewicht, gerade mal 180 Kilo schwer. Nervös blickte er auf seine Uhr. Knapp fünfzig Stunden war die Hindenburg nun unterwegs, seit sie in Löwental gestartet waren. Sagte man bei Luftschiffen überhaupt „starten“? Egal. Es war ein überwältigendes Erlebnis. Und die Gäste – allerhöchste internationale Prominenz, nicht nur braune Bonzen. Pfarrer Paul Schulte hatte die erste Messe gelesen, die jemals in der Luft gelesen wurde. Der Dresdner Pianist Franz Wagner hatte mehrere Konzerte gegeben - Chopin, Liszt, Beethoven, Brahms und gut, zugegeben, etwas Populärmusik. Aber das Beste kam jetzt.

Denn jetzt näherte sich die Hindenburg der amerikanischen Küste. Rudolph sah sich um. Kapitän Lehmann sass am Nebentisch und nickte ihm freundlich zu. Der Gesellschaftsraum war voll, aber niemand sah aus den Panoramafenstern aufs Meer, alles starte gebannt in die Ecke, in der der Flügel stand. Dann betrat Franz Wagner den Raum, die Gäste klatschten Applaus. Es folgte Max Jordan, der grosse Reporter der NBC. Hintereinander bahnten sie sich ihren Weg durch die Tische zum Flügel und begannen an Kabeln und Mikrophonen herumzuschrauben. Rudolphs Herz pochte. Gleich war es soweit. Gleich würden sie alle miteinander Zeugen der ersten Live-Übertragung eines Klavierkonzerts aus der Luft. Gespielt von Franz Wagner, moderiert von Max Jordan, übertragen von der NBC. Mit Schuberts Serenade und der schönen blauen Donau. Mit der bezaubernden Lady Suzanne Wilkins und „In the mood for love“. Und das alles – an einem Blüthner. Grossvater, wenn du nur dabei sein könntest! Wir haben Prokofjew und Tschaikowsky und Marlene Dietrich – aber nie werden wir höher fliegen als heute, in dieser Nacht!

weiterlesen