Ingbert Blüthner

Leipzig, im Spätherbst 1972

Endlich war er weg, der Mann, dessen eingefallenes Gesicht die graue Farbe seines Mantels angenommen hatte, die graue Farbe seiner Worte, seiner ganzen Politik. Ingbert Blüthner-Haessler seufzte tief, als er sich in seinem Büro erschöpft in den Ledersessel sinken liess. Verstaatlichung. Zwangs-Verstaatlichung. Rechtswidrige Enteignung ist das, murmelte er zu sich selbst. Aber was ist schon Recht, in diesen Zeiten. Das war also der Dank für die ganzen Mühen. Für seines Vaters Mut, alles nach dem Kriege wieder aufzubauen, nachdem die Bomben im Jahre 1943 das ganze Werk in Schutt und Asche gelegt hatten. Der Dank für die eben neu eröffnete Produktionshalle, die einhundert Mitarbeitern modernste Technik bot. Seit zwölf Jahren führte er die Firma nun. Er betrachtete das Gemälde seines Urgrossvaters Julius an der Wand. Er dachte an seinen Vater Rudolph, der schon 1953 zum 100jährigen Firmenjubiläum das Ende des Kommunismus herannahen sah. Bislang sollst du nicht Recht behalten, Vater. Was hättet ihr gedacht, was hättet ihr getan.

Die Beatles am Blüthner

The Beatles bei der Aufnahme von "Let it be"

Sie hätten sicher nicht aufgegeben, soviel stand fest. Zumal es ja nur der Erfolg war, der die grauen Herren interessierte. Die enorme Nachfrage, die die Kunden bis zu drei Jahre auf einen Flügel warten liess. Die begeisterten Glückwünsche prominenter Pianisten. Wilhelm Kempff etwa, der schrieb, dass der Klang seines Blüthners an Schönheit unübertroffen sei. Oder John Lennon, der mit den Beatles gerade „Let it be“ auf einem Blüthner aufgenommen hatte, drüben im Westen, wo das Interesse am goldenen Klang der Mauer zu trotzen schien. Nein, auch er, Ingbert würde nicht aufgeben. Er würde weitermachen, er würde die Qualität seiner Instrumente über alle politischen Widrigkeiten stellen, Herrgottnochmal, es war nicht das erste Mal, dass Deutschland leiden musste. Er würde alle Zweifel in den Wind schiessen und kämpfen und als Geschäftsführer in der Firma verbleiben. Und dann, irgendwann und hoffentlich bald – würde der goldene Klang über das graue Einerlei siegen.

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